Die Hand von James Cunnama und die Sache mit dem Socken!

Challenge Roth 2013 – die Kurzversion:

SCHMERZEN!

Challenge Roth 2013 – die Langversion:

Sanfte Orchesterklänge schwirren durch die Luft. Über Lautsprecher wird ein Gebet gesprochen. Die letzten Nebelschwaden verschwinden über dem Wasser. Hinter den Häusern von Heuberg und den drei Heißluftballons auf der gegenüberliegenden Uferseite geht die Sonne auf.

Noch eine Stunde bis zum Start und es gibt nichts mehr zu tun in der Wechselzone Eins am Main-Donau-Kanal. 3500 Starter wuseln um einen herum und man fühlt sich trotzdem unendlich einsam am Beginn des „längsten Tages“.

Die letzte gute Tat kurz vor dem Startschuss: ich drücke dem Nächsten in der Schlange vor dem Dixi-Klo drei Tempos in die Hand, weil in der Kabine Papiermangel ausgebrochen ist … der liebe Gott wird’s sehen und mich dafür bestimmt schneller machen.

Startschuss!  Grübeln ist vorbei und der alte Reinhold Messner würde sagen: „Nun zählt die Dad!“ Also … die Tat! Es läuft, bzw. schwimmt sich gut. Jeder versucht seinen Rhythmus zu finden und sich nicht schon bei Wasserprügeleien die Lichter vorschnell auszuschießen. Gut!

Dumm nur, dass mir nach drei km drei ein hartnäckiger Krampf in die rechte Wade schießt. Folge:  Zehn Minuten rechter Fuß im rechten Winkel – is‘ halt wie Autofahren mit angezogener Handbremse.

Als ich dann nach 1:20 Std. aus dem Wasser steige, fuchst mich das gewaltig. 125 km Schwimmtraining dafür, dass ich mich im Gegensatz zum Vorjahr um eine Minute verschlechtere, na danke! Sicher wären 20 km weniger Schwimmen – dafür aber mal ein paar Dehnübungen und Massagen – besser gewesen (Rookies: denkt an meine Worte!) Der nächste Krampf schraubt sich beim Anziehen der Radschuhe in den rechten Oberschenkel und der rechte Fuß schmerzt erbärmlich vorne in den silbernen Carbontretern. „Wird schon vorbeigehen …!“ – die alte Ironman-Weisheit!

„Wo ist Behle?“ war der bekannteste Spruch von Sportreporterlegende Bruno Moravetz. „Wo ist Wittig?“ fragen sich Paddy und Sandra auf der Hilpoltsteiner Brücke … bis ich dann dort oben vom Kanal kommend endlich an ihnen vorbeirausche. „Schwimmen und Wechsel in 1:32“ verbreitet unser Hannoveraner Sportkamerad per What’s App, also bitte … Falschmeldung!

Denn nach weniger als 4 Minuten in der Wechselzone geht es nun flott in zwei Runden auf der weltberühmten Radstrecke durch’s Frankenland. Am nächsten Tag ist in den Nürnberger Nachrichten zu lesen, dass sich 220.000 Zuschauer an der Challenge Strecke verteilt hatten … eindrucksvoll.

Eindrucksvoll finde ich auch mich, denn ich überhole ständig – auch die Jungs mit den Scheiben im Hinterrad. Da ich die Strecke im Mai schon besichtigt hatte schockt mich der sogenannte „Berg der Leiden“, der Kalvarienberg bei Greding, mit seinen fünf Aufschwüngen nicht die Bohne – 32,2 km/h lautet der Schnitt nach 90 km.

Während meiner Trainingsfahrten hatte ich ein Teilstück besonders gehasst: liebevoll taufte ich diesen Aufstieg vor Hiltpoltstein „den Dreckshügel“. Auch diesmal: „… die Stelle kennste doch … oh, nein, der Dreckshügel kommt!“ Aber da stehen nun ganz viele, ganz laute, ganz euphorische Menschen … und die lautesten sind natürlich unsere Tri-Team-Supporter. Danke Leute, ab dem Moment war es nicht mehr „der Dreckshügel“.

Wenige Minuten später kommt die Legende – etwas Einzigartiges in der Triathlon-Welt: während der Trainingsfahrten nimmt man den ca. 1,2 km langen und nicht sehr schwierigen Anstieg (8%) kaum wahr. Während des Rennens dann irgendwie schon! Denn du fährst direkt in eine Menschenwand aus 30.000 Verrückten. Diese Ausgeflippten brüllen jeden Athleten den Berg hoch und stehen so eng, dass dir maximal ein Meter Breite Asphalt bleiben – Überholen unmöglich! Meine Fresse, der Traum ist wahr geworden: ich bin am Solarer Berg!

Locker kurbele ich hinter einer eher langsamen Dame her und fühlte mich wie Lance und Ulle bei der Tour de France kurz vor Alpes d’Huez als sich plötzlich sanft, aber bestimmt, eine Hand von hinten auf meine Schulter legte. Kein Geringerer als der Vorjahressieger James Cunnama  begehrt ein Überholmanöver in diesem Chao

Als ich die Geschichte später in der Schlange vor der Dusche zum Besten gebe ernte ich ungläubiges Staunen: „Und da willst du dir jetzt echt den Buckel waschen?!“

Apropos Geschichte: Später werde ich dann mal davon erzählen wie ein mehrmaliger Ironmansieger damals am Solarer Berg an meinem Hinterrad gelutscht hat!

Nach der zweiten Radrunde bleibt ein Schnitt von 31 km/h. Bei km 177 habe ich allerdings das Gefühl „Nix geht mehr!“ Egal, raus aus dem Wechselzelt und ich renne an den Getränken … vorbei! Durstige lutsche ich aufgrund der Hitze halt am Schwamm und denke im gleichen Moment, dass das vielleicht nicht die gesündeste Idee war.

Wenigstens haben nach dem Wechsel auf die Laufstrecke die Schmerzen im rechten Fuß schlagartig aufgehört.

Der Franke an sich spricht ja vieles sehr weich aus: aus Brot wird „Brod“, aus Renate „Renode“ und aus dem Sponsor Datev machen die „Daadäv“ – genauso fränkisch weich fühle ich mich bei kuscheligen 27°C ab dem ersten km auf der Marathon-Strecke: 5:40 min/km wollte ich eigentlich laufen und war froh, dass ich überhaupt von der Stelle kam.

Fazit: beim „Maradonn“ vom ersten Meter an weggeplatzt! 42 km Delirium … der unendlich lange Weg am Kanal mit seinen vielen schattenlosen Passagen hatte jeweils alle 2 km einen Lichtblick: Oase Verpflegungsstelle! Je zwei mal zwei Schwämme in’s Trikot, einer unter die Laufkappe, vier sofort ausgedrückt, zwei Becher Wasser direkt in’s Antlitz geschüttet, trinken und Gel … keine 1000 Meter weiter scheute die Haut den Vergleich mit einer heißen Herdplatte nicht und die Mundhöhle glich – ich bleibe mal bildlich in der Küche – dem geöffneten Backofen!

Ich laufe zwar durch, aber das ständige Gefühl, so kurz vor Krämpfen in beiden Oberschenkeln zu stehen, begleitet mich recht lange. Ein 6:49er Schnitt spricht Bände!

Euphorischer Fuldataler Zuspruch an den neuralgischen Punkten Eckersmühler Brücke und an der Lände. Ich verabschiede mich ganz schnell vom Vorhaben mit einer niedrigen 11-Stunden-Zeit zu finishen und denke beim Laufen nur noch daran anzukommen – mit Nenas Worten: „Irgendwie, irgendwo, irgendwann!“ 

Das Irgendwo ist dann das Rother Triathlonstadion – ein 15.000 Zuschauer fassender, ohrenbetäubender, adrenalingeschwängerter  Hexenkessel! Ich merke, dass ich doch noch ganz knapp unter 12 Stunden ankommen könnte, lege sogar noch einen Endspurt ein und drücke im Ziel bei 11:59:59 ab – sauber! Allerdings ticken in Franken die Uhren schneller und auf meiner Urkunde steht 12:00:04. Egal, jede Langdistanz hat ihre eigene Geschichte – und das ist halt meine unter dem Motto „Knapp vorbei ist auch daneben!“.

Im Zielbereich denke ich mir dann: „Dreimal Ironman in drei Jahren! Nächstes Jahr tu ich mir das nicht an und gehe mal wieder Bergsteigen. Wenn du da um Jahre gealtert in der Wand auf der letzten Rille klebst ruft wenigstens keiner ‚Super! Weiter! Du siehst gut aus!‘“

Montagmittag: Ich räume den Wechselbeutel aus, packe in den rechten Radschuh und puhle vorne aus der Spitze einen zusammengedrückten Socken raus. Die hatte ich wohl übersehen! Das Aas hat mir also während der 180 km den Radschuh um zwei Nummern verkleinert.

Kein Wunder, dass nach’m Radfahren der Schmerz im Fuß wie weggeblasen war!

 

Name

Swim 3,8 km

Bike 180 km

Run 42,125 km

Gesamt

AK

Platz

Wittig, Uwe

01:20:51

05:45:00

04:47:11

12:00:04

359

1771

 

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9 Gedanken zu „Die Hand von James Cunnama und die Sache mit dem Socken!

  • 31. Juli 2013 um 18:52 Uhr
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    Grandoiser Bericht!!!
    Was meinst du, was ich die letzten 1,5h deines Rennens die Pobacken aufm Sofa zusammengedrückt habe, damit du unter 12h bleibst:-)

  • 31. Juli 2013 um 19:30 Uhr
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    Sehr schöner Bericht! Stark UWE!!!
    Dann hoffe ich doch, dass du uns nächstes Jahr als Supporter begleiten wirst und mit an der Strecke stehst!?! :-)

    LG

  • 31. Juli 2013 um 21:49 Uhr
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    Klasse Uwe !!!

  • 1. August 2013 um 08:35 Uhr
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    „Uns Uwe“ hat es krachen lassen, ganz großen Glückwunsch. Tolle und starke Leistung! Und schön, dass solche Lapalien wie die Socke nicht nur mir passieren ;)

  • 2. August 2013 um 09:08 Uhr
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    Großartiger Bericht! Großartige Leistung und echt witzige Geschichten hast du da erlebt!!!

  • 3. August 2013 um 11:20 Uhr
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    Klasse Bericht und Hut ab vor der Leistung!
    Besser als Socken im Schuh ist nur noch: Gel vorne im Schuh :)

  • 6. August 2013 um 19:47 Uhr
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    @Manolo: … oder Radflasche – tut weh und macht durstig!

  • 12. August 2013 um 06:38 Uhr
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    ;-)) Sehr sehr lustiger Bericht, danke Uwe!

  • 13. August 2013 um 18:58 Uhr
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    bitte Fortsetzung!!! ..ich will mehr von dir lesen! Starke Leistung und extraklassiger Bericht ;-)

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