Ein Wochenende beim 70.3 France

Verrückt, verrückter, ein Wochenende beim 70.3 France

Ein dunkler, verregneter Dezemberabend, gerade war ich von einem Tempodauerlauf im Dunkeln nach Hause gekommen. Ich fühlte mich gut und die obligatorische Dezembergrippe kam in diesem Jahr nicht. Wow, schon zwei Monate Grundlagentraining ohne Unterbrechung wurden abgespult und übermütig durchstöberte ich das Internet nach einer Mitteldistanz. Die ganzen Jahre zuvor hatte ich mich an keine längere Strecke als die Kurzdistanz in Viernheim getraut. Aber in 2012 sollte es soweit sein. Nur wo und wann? Im Fokus standen die Ligarennen und die Termine waren bereits bekannt. Die Klassiker im Hochsommer vielen somit raus und es sollte nach Möglichkeit keine flache Radstrecke sein. Wie ich auf diesen Gedanken gekommen bin, weiß ich allerdings nicht mehr! Da mir Rennen in Nässe und Kälte ja auch nicht so liegen, kam ich auf das noch ganz neue Rennen im Süden von Frankreich. 2011 wurde in Aix-en-Provence das erste mal eine 70.3 Veranstaltung ausgetragen und die Stimmen sowie das Wetter überzeugten mich. Und was sind schon lockere 1200 Kiolomter Anfahrt? Also nicht weiter darüber nachgedacht und angemeldet.

Erste Zweifel kamen auf, als ich im engeren Freundeskreis von diesem Vorhaben berichtete. Mit fragenden Blicken wurde ich in den kommenden Tagen angeschaut – nein da sind keine Ferien. Ich fahre freitags nach der Schule runter, mache am Sonntag den Wettkampf und dann geht’s wieder nach Hause. Ja, am Montag ist wieder Schule!  Ein kleiner Haufen glaubte an dieses Vorhaben und somit hatte ich Marco, Sepp und Manollo an meiner Seite.

Gut, die Vorbereitung verlief dann doch nicht so glatt, aber trotzdem fühlte ich mich in den letzten Wochen mit einer ansteigenden Formkurve bereit für das Abenteuer Mitteldistanz.  Pünktlich um 12 Uhr wurde ich von den Jungs an der Schule abgeholt und wir starteten in Richtung Sommer! Sehr kurzweilige 720 Minuten später checkten wir bei 23 Grad Außentemperatur in Aix-en-Provence im Hotel ein. Am Samstag hieß es dann, sich im südfranzösischen Straßenverkehr durch eine wunderschöne Altstadt zu schlängeln und die Startunterlagen zu besorgen sowie die Schuhe in der T2 einzuchecken. Gleich darauf ging es in Richtung T1, vorbei an hübsch anzuschauenden Hügeln und einer traumhaften Landschaft. Am See angekommen, verschafften wir uns zunächst einmal einen Überblick der Gesamtsituation. Sehr schnell fiel auf, irgendwie sehen hier alle total fit und durchtrainiert aus. Nach der quälenden Laufradfrage checkte ich das Rad ein – das alleine war schon ein Highlight – und der Beutel mit Helm etc. wurde abgegeben. Anschließen plantschten Manollo und ich ein paar Minuten in einem wunderschönen See. Tolle Wasserqualität und kalt genug für den Neo!

Was im Anschluss folgte, sollte mir dann doch die entspannte Vorfreude etwas vertreiben. Die Abfahrt der Radstrecke mit dem Auto dauerte 2 ½ Stunden. Teilweise mussten die Anstiege im ersten Gang gefahren werden, 5,5% Steigung scheinen in Frankreich irgendwie anders zu sein als bei uns in Nordhessen. Den Asphalt könnte man als grobkörnig beschreiben, aber am Meisten bescherten mir die Abfahrten Bauchschmerzen. Was für ein Knaller!

Von diesen Eindrücken erholten wir uns abends in Cassis, einem wunderschönen kleinen Ort direkt am Mittelmeer und ich versuchte einfach nicht an das Radfahren zu denken.
Im Hotel angekommen, wurde der Wecker auf 4:45 Uhr gestellt und so schnell wie möglich geschlafen. Schon vor dem Wecker war ich wach! Was habe ich mir nur dabei gedacht?! Kurzdistanzen sind doch auch was schönes und die Sprints erst. Na gut, nicht kneifen und irgendwie das Rennen genießen. An dieser Stelle hier schon einmal einen dicken Dank an die Jungs, die mir bereits an diesem Morgen doch eine große moralische Stütze waren.

Stockfinster war es, als wir am See ankamen. Mit Taschenlampe bewaffnet überprüfte ich den Reifendruck und befüllte meine Radflaschen. Hinter dem östlichen Gebirgszug wurde es immer heller und die Nacht verschwand langsam, während ich mich in den Neo zwang. Letzte aufmunternde und motivierende Worte von Marco, Sepp und Manollo und dann musste ich mit all den hundert anderen zur Startbox. Trotz der Menschenmassen fühlte ich mich sehr einsam. Was habe ich mir nur dabei gedacht:1,9 km schwimmen, 90,1 km Radfahren und dann einen Halbmarathon. Noch nie habe ich einen Halbmarathon gefinishet. Warum kommen solche Gedanken immer vor dem Start? Als fünf Minuten vor dem Start die Sonne hinter den Bergen direkt vor uns aufging, huschte ein Grinsen über mein Gesicht. Genau wegen diesen Momenten trainiert man doch, um jetzt hier zu stehen und das zu erleben. Laute Musik kam aus den Boxen, die Sonne war nun vollständig hinter dem Berg hervor gekommen und uns auf den ersten 900 Schwimmmetern direkt ins Gesicht scheinen. Der Countdown zum Start begann, wir klatschten alle im Sekundenrhythmus die letzten zehn Sekunden mit und dann ging es los.

Landstart! Nach wenigen Metern erreichte ich das Wasser, fünf oder sechs Schritte konnte ich noch machen und dann fiel der Boden stark nach unten ab und wir stürzen uns in die Fluten. Meine große Befürchtung für das Schwimmen bestätigte sich nicht. Es gab kein Hauen und Stechen. Im Gegenteil, es verlief total entspannt. Das lag unter Umständen auch daran, dass ich mich an die goldene Regel meines Triathlonmentors hielt und ganz auf der rechten Seite startete. Schnell befand ich mich in einer gut funktionierenden Gruppe und wir fünf sollten die gesamte Schwimmstrecke zusammen bleiben. Im Gegensatz zu den Ligarennen war es ein super schönes Schwimmen und ich fühlte mich auch auf dem Rückweg noch fit und druckvoll. Als ich schließlich den Teppich am Ausstieg erreichte, traute ich meinen Augen kaum. Unter 30 Minuten und das ganze ohne mich total ins Koma zu schwimmen. So kann es weiter gehen! Schon bevor ich die Badekappe abzog, hörte ich meine Supporter. Lautstark pushten sie mich in die Wechselzone. Raus aus dem Neo und ab auf’s Rad.

Die ersten 10 Kilometer waren flach und am Vortag war der Plan, dort schön Druck zu machen und diese Kilometer mit einem ordentlichen Schnitt abzuspulen. Druck musste ich ohne Ende machen, aber mit dem hohen Schnitt war es nichts. Eine starke Briese blies mir ins Gesicht. Mit Mühe konnte ich die 30 km/h halten und dieser Wind begleitete mich bis Kilometer 65 auf der Radstrecke. Auf den wenigen Flachpassagen konnte ich nicht in Aeroposition fahren, da mir das Rad sonst um die Ohren geflogen wäre und eigentlich hätten die Anstiege auch ohne Gegenwind ausgereicht. Das krampfhafte Halten des Lenkers und die Vibrationen durch den Asphalt sollte ich noch in den nachfolgenden Tagen in den Armen spüren. Damit zu kämpfen hatten aber alle Starter, somit wollte ich mich mit diesem Problem auch nicht weiter beschäftigen. Bergauf lief es im Vergleich zu meinen Mitstreitern um mich herum ganz ordentlich. Nur im Bergabfahren habe ich an diesem Tag eine Lehrstunde erhalten. Da sind mir die Jungs schlichtweg um die Ohren gefahren. Eine bessere Streckenkenntnis wäre ganz klar von Vorteil gewesen.

Aber auch die letzte Abfahrt war irgendwann rum und ich erreichte Aix-en-Provence und schlüpfte raus aus den Schuhen. Die ersten Meter in der Wechselzone fühlten sich wiedererwartend richtig gut an. Rein in die Schuhe und ab auf die Laufstrecke. Auch die ersten Meter waren super, bis ich um die erste Ecke bog und eine Rampe auf mich wartete. Oh nein, vier Mal muss ich da hoch. Was soll’s, wo es hoch geht, muss es ja auch wieder runter gehen. Dass noch weitere zwei gemeine Rampen pro Laufrunde auf mich warten würden, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.  Als ich das erste Bändchen mein Eigentum nennen konnte, war die Moral allerdings am Boden. Nach dieser Radstrecke so eine fiese Laufstrecke hatte ich einfach nicht erwartet. Und jetzt weiß ich warum bei unserer Mitteldistanz im Fuldatal die Starter ausblieben. Solch eine Laufstrecke braucht kein Mensch, ging es mir durch den Kopf. Aber irgendwie musste ich da jetzt durch, schließlich standen die Jungs an der Strecke und die waren unglaublich. In den kleinen Gassen schrien sie sich die Seele aus dem Leib und ich hatte das Gefühl sie sind überall. Ich konzentrierte mich auf den Laufstil und teilte mir die Streckenabschnitte im Kopf immer von Verpflegungsstelle zu Verpflegungsstelle ein. Dort griff ich nach allem was ich bekommen konnte und hatte ab der dritten Runde teilweise sechs Becher in der Hand. Moralischer Tiefpunkt kurz nach der Hälfte der dritten Runde, als ich an Marco und Sepp vorbei lief, da kam der Gedanke, ich muss noch eine blöde Runde. Warum nur? Meinen Unmut rief ich den Jungs zu, aber die schrien mich nur an und ich lief irgendwie weiter. In dieser Rennphase kam dann auch das Bedürfnis auf, wenn ich im Ziel bin lege ich mich nur noch auf den Boden, einfach nur hinlegen. Und diese Vorfreude beflügelte mich auf dem Rückweg der letzten Laufrunde. Als endlich das vierte Band am Arm hing, ging alles ganz schnell. Nur noch um einen Kreisverkehr herum und dann endlich in den Zielkanal abbiegen und auf den Zielbogen zulaufen. Dort stand in großen Lettern mein Name und ich war für diesen Moment einfach nur glücklich. Keine Schmerzen, nichts. Aber ich habe mich hingelegt, einfach nur hingelegt und die Medaille in meiner Hand gedrückt. Als ich nach wenigen Sekunden wieder aufgestanden bin, tat mir aber sehr schnell so ziemlich alles weh, was weh tun kann. Angeblich waren meine ersten Worte wohl auch: „So etwas mache ich nie wieder!“  Aber daran kann ich mich nicht erinnern. Dank einer guten Zielverpflegung ging es aber schnell wieder aufwärts und verzweifelt suchte ich nach einer Dusche. Aber daran hat der Veranstalter nicht gedacht. Somit musste ich mich in einem Brunnen waschen, auch was Neues.

Nach dem Rad-Checkout machten wir uns dann schnell Richtung Auto, um die Heimreise anzutreten. Es lag ja noch ein kleines Stückchen Weg vor uns. Tauschen wollte ich in dieser Situation nicht mit den Jungs. Nachdem im Auto in den ersten sechs Stunden das Rennen analysiert wurde, freuten wir uns alle nur noch auf unser Bett. Diese Vorfreude beflügelte das Auto und nach nur zehn Stunden waren wir um 2 Uhr nachts schon daheim.

Abschließend kann ich zu diesem Wochenendausflug nur sagen: Es war ein riesiger Spaß mit den Jungs. Danke, dass ihr diese Strapaze für mich und mit mir auf euch genommen habt. Ich habe viel über diese Streckenlänge und mich gelernt und ich ziehe noch mehr den Hut als zuvor vor allen, die die doppelte Distanz bewältigen. Ihr seid doch alle wahnsinnig!

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6 Gedanken zu „Ein Wochenende beim 70.3 France

  • 26. September 2012 um 23:28 Uhr
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    Sehr schöner Bericht! Gratulation zur ersten gelungenen Mitteldistanz!!
    …Und wieder mal zeigt sich: Supporter sind einfach die Größten! :-))

  • 27. September 2012 um 14:32 Uhr
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    Herzlichen Glückwunsch zur ersten Mitteldistanz!!! Gedanken, wie „das mache ich NIE wieder“ kommen mir auch bekannt vor… warten wir mal ab, wo überall der Lieblein noch so sein Unwesen treiben wird ;-)

  • 27. September 2012 um 18:52 Uhr
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    Auf jeden Fall in Hameln!

  • 3. Oktober 2012 um 13:26 Uhr
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    Man beachte das super Foto von Zieleinlauf ;)

  • 4. Oktober 2012 um 19:21 Uhr
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    Gratulation auch von meiner Seite.

    @ Sepp, Du meinst doch nicht den „Pro“ Brunnen ;-)

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